Longarone liegt im Piave-Tal und ist eigentlich kein Ziel für Offroader. Dennoch habe ich es hier aufgenommen, da es Geschichte geschrieben hat. Bekannt wurde Longarone wegen einer fürchterlichen Katastrophe, die mehr als 1.100 Opfer forderte. Was war geschehen?
Am 9. Oktober 1963 um 22:39 Uhr stürzten schlagartig mehr als 270 Millionen Kubikmeter Gestein des angrenzenden Berges Monte Toc in den angestauten See. Die riesige Flutwelle verschonte wie durch ein Wunder die oberhalb des Vajont-Stausees liegenden Dörfer Casso und Erto, schwappte aber mehr als 100 m hoch über die Krone der Staumauer. Etwa ein sechstel des angestauten Wassers ergoss sich in die enge Schlucht und schoss wie aus einer Düse auf die unten fließende Piave und den Ort Longarone. Longarone und weitere Orte oberhalb und unterhalb der Vajont-Schlucht wurden dem Erdboden gleich gemacht, die Piave schwoll so an, dass Brücken abgerissen, Uferbefestigungen zerstört wurden. Wie durch ein Wunder hielt der Staudamm dieser unglaublichen Belastung stand. Lediglich ein kleiner Teil der Krone wurde abgerissen. Hätte der Damm nicht gehalten, dann wäre die Katastrophe noch wesentlich schlimmer ausgefallen. Der Staudamm war seinerzeits die höchste Bogenstützmauer der Welt mit einer Kronenhöhe von 262 m.
Bereits vor dem Bau hatte es Bürgeriniativen gegeben und Warnungen vor dem Aufstau des Wassers. Leider ignorierten die Behörden alle kritischen Argumente und ließen die Bogenstützmauer errichten und das Wasser anstauen. Die Hänge des Monte Toc neigen zum Kriechen, das allerdings so spärlich war, dass vor dem Aufstau niemand darauf geachtet hatte, obwohl es immer wieder kleinere Rutschungen gegeben hatte. Erst mit dem Aufstau begann die Katastrophe: die unteren stützenden Böden sogen sich voll Wasser und verloren somit viel von ihrer stützenden Wirkung. Dazu kam, dass kapillar aufsteigendes Wasser in den Tonschichten sich sammelte, die darauf hin ihre Scherfestigkeit verminderten. Am 9. Oktober 1963 war es dann soweit, dass die Scherfestigkeit und die Haftreibung der auf dem Fels aufliegenden Schichten so herabgesetzt war, dass es zum Gleiten kam. Die Hänge stürzten urplötzlich in den See und rissen alles, was darauf stand mit in die Tiefe.
Die Geologen hatten wohl geahnt, dass die Hänge rutschen könnten, denn es waren Sensoren angebracht, mit denen die Bewegungen gemessen werden konnten. Leider wurden diese Werte offensichtlich falsch oder gar nicht interpretiert, so dass dieses entsetzliche Unglück seinen Lauf nehmen konnte.
Bereits ein Jahr nach dieser Katastrophe war ich als Student vor Ort. Damals machte die gesamte Schlucht, der Ort Longarone und der verstürzte Stausee einen Eindruck, der einem das Unglück drastisch vor Augen führte. Heute sind Longarone und auch die übrigen Ortschaften längst wieder aufgebaut und nur noch wenig erinnert an die damalige Katastrophe. Man fährt von Longarone eine asphaltierte Straße über mehrere Kehren empor, durchfährt einen ampelgeregelten Tunnel und steht danach vor einem Parkplatz auf dem Schautafeln Auskunft über das Unglück geben. Am Rande des Platzes, in der Nähe der Staumauer, ist eine kleine Kapelle errichtet worden, in der man den Toten gedenken kann.
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